
Die vier Schritte zum Mannsein
Werner Mikota
Alle Geschichten beginnen mit es war einmal, so auch diese. Also: es war einmal ein Hirtenjunge, der lebte im finsteren Mittelalter in einem wunderschönen Landstrich, voller sanft geschwungenen Hügel und sich an ihnen anschmiegenden Bächen.
Camue war eines Tages im Frühsommer mit seiner Herde unterwegs – es war einer dieser Tage, wo nach einem kurzen Regen die Landschaft wie gewaschen erscheint. Die Sonne wärmte Camue, die Hügel waren schwanger mit Blüten und den Duft wilder Rosen und Gewürzen. Camue war überglücklich. Die Schönheit des Landes erfasste sein Gemüt, erfüllte sein Herz und er packte seine Flöte aus, um spielend und tanzend diese Pracht der Erde zu feiern. Er tanzte rund um die Herde, rund um die Herde, bis er erschöpft in das sanfte Gras fiel und einschlief.
Ich erwache, reibe mir den Schlaf aus meinen Augen und stelle verwundernd und beängstigend fest, dass dies nicht der Ort ist, wo ich einschlief. Es ist Nacht, es ist kalt, die Mondin hüllt den Wald in ihr silbernes Licht. Die Bäume sind spitz und starr, alles wirkt leblos und ich fürchte mich. Ich fürchte mich, hier zu bleiben und wegzugehen, selbst zu erstarren und mich zu bewegen im gleichen Atemzug – ich warte – ich warte – auf was? Ich muss weg, mich bewegen, sonst friere ich ein und ich entschließe mich zu gehen, wohin ist egal, weiß es sowieso nicht, Hauptsache weg, nur nicht bleiben. Ich gehe in eine mir unbekannte Richtung, bis der Wald aufhört, eine große Lichtung sich auftut und in deren Mitte ein mächtige Burg steht – endlich eine Zuflucht. Doch Vorsicht, sind die Menschen mir dort wohlgesonnen? Oder möglicherweise muss ich dann als Sklave dienen, werde verkauft, wie ein Stück Vieh? Schau den Weg zurück! Woher bist du gekommen, möchtest du dorthin? Nun alles besser als hier zu bleiben. Ich nähere mich behutsam der Burg, stelle fest, dass die Zugbrücke heruntergelassen ist und keine Wache sie bewacht – sonderbar, die müssen sich sehr sicher fühlen. Da höre ich das Hämmern des Schmiedes, den vertrauten Rhythmus und den Klang des Amboss. Doch als ich um die Ecke biege, da gibt es keinen Schmied, es gibt da glühende Eisen und den Hammer, aber nicht den Schmied! Ich höre die Pferde im Stall, öffne die Stalltüre – und da gibt es zwar Sättel und Geschirr, aber keine Pferde! Am mein Ohr dringt das Geschimpfe des Kochs und das Geschepper von Geschirr, aber als ich in die Küche komme, kein Mensch! Ich glaube verrückt zu werden, ist das alles nur Einbildung oder Halluzination. Ich kenne mich nicht mehr aus, bin so und so schon tief verunsichert – was soll das? Angst und Wut tauchen auf, Achtsamkeit ist angesagt und die Verzweiflung, die sich da meldet, behalte ich für den Schluss. Ich wage mich vor, bis vor die mächtige Eichentüre, die zum Rittersaal führt. Dahinter das Gegröle der Ritter und das Lachen von Frauen. Mut jetzt – ich öffne die Türe und mit einem Mal verstummt der Raum, nur ein Mädchenlachen entfernt sich, verlässt langsam den Saal.
Da merke ich – es ist gedeckt! Vor mir eine Festtafel mit Spanferkel, Hühner, Fasanen, dampfende Knödel, Würste, die ich liebe, Karotten, Gurken, allerlei Gemüse und Obst. Mmm- Weintrauben und Erdbeeren und schäumendes Bier und verschiedenste Sorten Wein, frisches Brot. Essen, das ich nur aus Erzählungen und Beschreibungen kenne. Da erfasst mich ein unbeschreiblicher Appetit, ein Riese, der in meinem Bauch grummelt, ein Verlangen nach …Hühnerkeulen. Mächtig lang ich zu und beginne alles Gute in mir rein zu stopfen. Sabbernd und gierig, denn so eine Vielfalt habe ich noch nie gekostet. Das schlechte Gewissen schieb ich zur Seite und beginne nun zu genießen.
Da ertönt aus dem Nichts eine mächtig laute Stimme: “Willkommen Camue, es freut uns, dass es dir schmeckt!“ „Wer bist du? Und was ist da im Gange?“ „Du bist der Retter, der, der uns eine alte Weissagung prophezeite“ „Ich!?“ Ich erschrecke: „Ich bin doch nur ein Hirtenjunge und bewahre kein Retter!“ „Du bist hier, hier in diesem Schloss und du heißt Camue und du hast keine Wahl, außer der, deiner Bestimmung zu folgen!“ Ich überlege hin und her, eilig, um aus dieser Situation zu entfliehen. „ Dich gibt es doch gar nicht, das alles ist doch eine Halluzination“ „Oh, dein Bauch ist nicht jetzt voll, du spürst nicht den Geschmack des Weines auf deinen Lippen? Ja dann….ich bin der Fürst eines verwunschenen Landes, verflucht vor langer Zeit.“ Da erzählt er mir die Geschichte dieses Landes, die leidenden Menschen und das Ersticken alles Lebens. Die Qualen der Tiere und der Pflanzen und der Prophezeiung, dessen Teil ich bin und da bleibt mir nichts anders übrig als zu zustimmen, nachdem er versichert, sie sorgen für meine Ausbildung. Da kehren sie wieder, die Stimmen, Gelächter und Musik ertönt und es wird gefeiert.
Die Monde vergehen. Ich werde geschult im Reiten, im Gebrauch von Schwerter und Lanzen und es beginn mir Spaß zu machen. Nicht nur mein Körper, sondern auch mein Bewusstsein verändert sich, mein Verhältnis zu mir, mein Glaube an mich selbst.
Bis zu dem Zeitpunkt, an dem der Fürst mit all den anderen mich zur Kapelle führt. Das Licht strahlt vielfärbig durch das spitzbögige Fenster auf den Altar. Schimmernd liegt dort eine blanke Rüstung, sodass ich mich darin spiegele. Ein kunstvoll geschmiedetes Schwert mir einer Klinge, die bläulich schillert und ein Wappen. „ Das ist sind deine Zeichen: die Eiche für die Beständigkeit, der Bär für deine Kraft und Beherztheit, der Fuchs für deine Schlauheit und der Adler für deinen Weitblick! Mögen dir die Kräfte zur Seite stehen“ Die Geister beginnen mich anzukleiden. Zuerst feines Linnen, dann gröbere Schafswolle, dann das Kettenhemd – langsam beginne ich die Schwere zu spüren – die Rüstungsteile, die Panzerung und den Helm, das Schild und das Schwert. Unbeweglich werde ich auf mein Pferd gehoben.
Mein Herz schlägt wissend der Prüfungen. „Was wird geschehen, welche Prüfungen muss ich bestehen, wohin soll ich reiten?“ „Es werden drei sein und du wirst sie erkennen, dein Pferd kennt den Weg“ Das Pferd bekommt einen Klaps auf die Hinterhand und sprengt mit mir hinaus, nimmt Richtung und wir reiten durch den Wald, tiefer und tiefer hinein, quälen wir uns durch das Dickicht und Unterholz. Bis wir an eine kreisrunde Lichtung kommen –
Da ist sie, die erste Prüfung! Ein roter Ritter, in roter Rüstung, auf einem roten Pferd, schnaubend und scharrend – er zieht das Schwert, gibt ihm die Sporen – das Gleiche tu ich – wir sprengen aufeinander los in entfesselnder Kraft – treffen schwer aufeinander – wir kämpfen schonungslos auf Leben und Tod – fast besiegt am Ende meiner Kraft erkenne ich die Schwachstelle meines Feindes und steche zu – Blut spritzt – besudelt meine glänzende Rüstung – er haucht sein Leben aus- stürzt von Pferd und – verschwindet! Nur der schwere Atem, das Pochen meines Herzens und sein Blut auf meiner Rüstung erinnert an den Kampf – egal – ich habe mir längst abgewohnt Fragen zu stellen – die erste Prüfung ist bestanden. Nur jetzt weiter. Ich reite weiter durch den Wald hindurch.
Da tut sich eine weite Ebene auf und ein eigenes Gefühl befällt mich, warnend und fordernd schnell zu sein. Ich folge und gebe meinem Schecken die Sporen und er beginnt zu galoppieren. Da – wo ich gerade eben gemächlich ritt – schlagen riesige Krallen eines schwarzen Drachens ein. Er zieht hoch bedeckt mit seinen Flügeln die Sonne – und verschwindet aus meinem Gesichtsfeld. Ich merke nun die Starrheit meiner Rüstung, unflexibel kann ich nur beschränkt den Himmel beobachten, der Helm lässt mir meinen Kopf nicht drehen, der Vezier teilt das wenige. Um besser beobachten zu können, lenke ich das Pferd in einem engen Kreis. Da sehe ich, wie der Drache aus der Sonne heraus angreift. Ich nehme mein Schwert und schleudere es ihm in die Brust. Sein Blut regnet auf mich, bedeckt mich. Ich verfolge seinen Flug, bis zu den Fuß von Bergen. Dort muss ich hin, denn mein Schwert steckt in seinem Körper und ich habe noch eine Prüfung zu bestehen.
Die Letzte. Müde des Kämpfens und schwer zu tragen, reite ich zu den Bergen. Eine Schlucht, ein Fluss, am Ufer der verendete Drachen, mein Schwert. Bedächtig Schritt für Schritt ins Tal, nehme mir mein Schwert, ziehe es heraus und der Drache verschwindet. Ich dürste nach Wasser, kann aber nicht absteigen, die Rüstung ist zu schwer, kann mich nicht hinunter beugen, darf nicht vom Pferd fallen, würde hilflos sein, wie ein Käfer, der am Rücken landet. So sprenge ich durch den Fluss, auf Wassertropfen hoffend, die in meine durstige Kehle dringen. Erfrischt bin ich, gelabt, erneuert, bereit der 3. Prüfung zu begegnen.
Ein alter und kleiner Mann, mit weißem Haar und weißem Gewand, mit einen weißen Stab, einem Gnom gleich, steht dort am Ufer und seine Stimme schallt zu mir, begrüßt mich. Ich ziehe mein Schwert, galoppiere auf in los und schlage auf ihn ein, treffe nur Luft, daneben erscheint ein übermächtiger Krieger, der meinen Namen ruft, ich schlage auf ihn ein. Wiederum nur Luft. Da erscheint eine junge Frau, ein Bettler, ein König, Figuren um Figuren erscheinen – gegen alle kämpfe ich, alle verschwinden – ich kann nicht mehr – die Prüfung – so kämpfe ich weiter – bis ich nicht mehr kann. Der Arm will nicht mehr, der Körper gibt auf, die Hand sinkt. Auch das Pferd kommt zur Ruhe. Da erscheint der weise Alte wieder.
„Camue – erkennst du den nicht gegen wen du da kämpfst? Du hast den roten Ritter besiegt – deine Aggression – und den schwarzen Drachen – deinen inneren Tod – und jetzt kämpfst du weiter – aber du kannst dich nicht besiegen – das alles ist in dir. Der Bettler, der Narr, die Frau, der Krieger, der König, der Musikant, all die anderen und ich. Schließe Frieden mit dir und senke dein Schwert!“
Und ich erkenne, meine Sehnsucht nach Frieden, nach Angekommen und Angenommen zu sein, ja zu mir zu sagen und großherzig zu sein.
Die Hand öffnet sich, das Schwert fällt, es berührt den Boden und zerspringt in tausend Sonnenstrahlen. Das Ross scheut, bäumt sich auf, wirft mich ab und ich schlage hart auf. Die Rüstung zerschellt und aus ihr quellen Rosen und Tauben und es erhebt sich ein Wind und ein Ausatmen von tausend befreiten Seelen.
Und Camue erwachte an einem Frühsommertag und nur ein Mädchenlachen entfernte sich.